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Beispiel 2: Teilthema des Kaptitels "Das 19. Jahrhundert"
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Von Diamanten bis Schildpatt: Neue und traditionelle Werkstoffe im 19. Jahrhundert
Kein Jahrhundert zuvor bot eine derartige Vielfalt an attraktiven Materialien für die Herstellung von Kleinkunst. Diamanten und Perlen erfuhren selbstverständlich Würdigung, es kamen aber auch weitere Werkstoffe zur Anwendung, die den Schmuck im 19. Jahrhundert ausmachten: Granat, Elfenbein, Gagat, Koralle, Schildpatt, Tombak, Doublé, Aluminium, Kunststoff und Gummi.
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An der Aufzählung wird deutlich, daß die Grenzen zwischen Echtschmuck, Effektschmuck und Modeschmuck fließender wurden. Nachdem sich hundert Jahre zuvor durch die Strategie von Strass der Modeschmuck neben dem Juwelierschmuck in den Geschäften auslag, war der Prozeß der Verselbständigung des Modeschmucks in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts abgeschlossen. Im 20. Jahrhundert konnten auf dieser Basis neue Bereiche eröffnet werden (Coco Chanel, Weltraumlook, etc.).
Durch die Entdeckungen der Diamantenvorkommen in Südafrika 1869 und weiteren auf dem afrikanischen Kontinent gerieten große Mengen an Diamanten auf den Markt, die auch bei geringer Größe mit dem Altschliff versehen wurden. Diamantrosen kamen im Lauf des Jahrhunderts aus der Mode. Am Ende des 19. Jahrhunderts wurde die weiße Mode im Diamantenschmuck, die Kombination von Platin und Diamanten, eingeläutet.
Die Perlenimitationen erhielten ihr Gewicht wie zuvor durch Wachsfüllungen. Den Schimmer erreichten die Kunsthandwerker durch das Aufbringen von neu entwickelten Lacken und der seit der frühen Neuzeit gebräuchlichen Füllung mit Fischschuppen (essence d'orient). Nach der Entdeckung des durchscheinenden Opalglases weiß durchgefärbtes Glas durch Beimengung von Metalloxiden), von denen die Kaiserin Eugénie von Frankreich dreiundsiebzig Stück trug, konnte man auf Lack und Wachs verzichten. Korallen- und Gagatperlen eroberten langsam den Markt.
Die Schmuckobjekte geben am Ende des Jahrhunderts wieder größere Goldflächen preis, nachdem die Aufmerksamkeit eher dem Schmuckstein und seinem Schliff galt. Breite Metallreifen und Goldmedaillons wurden häufig getragen. Als Goldersatz war Pinchbeck auch im 19. Jahrhundert in Gebrauch. Es erhielt Konkurrenz durch die elektrische Vergoldung (s.o.) und durch Doublé, einer Verbindung von unedlem Metall mit edleren Stoffen, die wie heute noch üblich durch Aufpressen oder Aufschweißen zusammengebracht werden. Platin gesellte sich ab 1880 als Doublierung zu den Edelmetallen, bevor es das Silber im Diamantenschmuck ersetzte. Schließlich bildeten gepresste dünne Goldbleche (Schaumgold), niederkarätige Gold-, Silber- und vergoldeter Silberschmuck die Basisflächen (Hanau, Schwäbisch Gmünd, Pforzheim).
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Die große Nachfrage an böhmischen Granaten ernährte über 10.000 Arbeiter im böhmischen Mittelgebirge. Für die besondere Farbe des preisgünstigen Pyrop-Mischkristalls (Magnesium-Aluminium-Granat) ist der Eisen- und vor allem der Chromanteil verantwortlich, der bei 1,5 bis 2 Gewichtsprozent Chromoxid die charakteristische Farbe verursacht. Der Granat wurde massenhaft zu Trachten- und Trauerschmuck verarbeitet. Typisch für Granatschmuck sind in Gold oder Silber gefasste und im Rosenschliff facettierte Steine. Die Gesamtkompositionen erinnern an den Formenschatz der Spätrenaissance und des Barock. Es dominieren runde und ovale Formen mit gewölbten Mitten. Schleifen und Girlanden sind häufig an den Erzeugnissen angebracht. Am unteren Rand sitzen oft Dreiergehänge.
Auch die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts brachte farbige Schmuckstücke hervor. Neben Zitrinen, Amethysten und Aquamarinen fügten die Künstler den Schmuckobjekten folienunterlegte und facettierte Schmucksteine zu, um Granate und Rubine zu imitieren. Auch diese für alle sozialen Schichten erschwinglichen Kopien lagen bei den Juwelieren neben den unbezahlbaren Stücken aus. England erlangte die Vorherrschaft auf dem Gebiet der Glasherstellung.
Beim Haarschmuck stand wie in der Romantik der Symbolwert des verwendeten Materials im Vordergrund. Meistens handelte es sich um Erinnerungen an geliebte Personen, um die man trauerte oder an die man sich im Alltag erinnern wollte. Die Haare waren in einem Medaillon verschlossen, bildeten Formen und Schriftzeichen auf den Erzeugnissen oder als Hohlgeflecht ganze Schmuckstücke. Wulstartige Ohrringe und Uhrketten sind typische Produkte aus Haaren.
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Nach 1850 schenkte man insbesondere in Deutschland (Odenwald) der Elfenbeinschnitzerei Beachtung. Auf diesem Sektor machten sich Friedrich Hartmann und Ernst Kehrer einen Namen. Die geschnitzten Darstellungen reichen von Jagdszenen bis Rocaille und Laubwerk. Etwas billiger konnten Elfenbeinimitate aus Porzellan hergestellt werden.
Abgesehen vom Gagatschmuck (Jett) stand die englische Goldschmiedekunst auf einem absoluten Tiefpunkt (s.o.). Über eintausend Gagatbearbeiter stellten in Whitby bis ca. 1890 aus dem weichen und glänzenden Material Perlenketten, Ohrringe mit runden Anhängern, Kameen, mehrreihige Gliederketten und Gliederarmbänder, Armreifen, ovale und herzförmige Medaillons und gravierte Fingerringe her. Ganze Schaufenster waren mit dem fossilen Holz gefüllt. Besonders bei Fingerringen und Kameen kam Ersatzmaterial zur Anwendung. Darunter fielen schwarzes Glas, Mooreiche, Schildpatt, gemahlenes Holzpulver, schwarzes Email und Guttaperche, der getrocknete Milchsaft des Palaquium-Baums. Königin Victoria gestattete 1887 anläßlich des goldenen Jubiläum ihrer Thronbesteigung wieder das Tragen von Goldschmuck. Der Memento-Mori-Schmuck erfuhr auf dem Festland ebenfalls Würdigung. Die Schmuckfabriken boten Trauerschmuck aus gestanzten Formteilen an, die wie in den Epochen zuvor Symbole des Todes tragen: gekreuzte Knochen, Totenschädel, Todesdatum. Der Begriff victorianische Sentimentalität beschreibt den Naturalismus, der vor der langen Trauerphase vorherrschte. Weinranken, Trauben und Blumen kamen auf den Schmuckstücken große Bedeutung zu.
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Im Tagesschmuck setzte sich die Koralle durch, die seit römischer Zeit am Mittelmeer gewonnen wird (Torre del Greco, Neapel). Schon in der Biedermeierzeit schimmerte es rötlich-orange an den Ketten und Paruren. Vielfältige Motive wie Blumen, Früchte und Zweige wurden in das Material geschnitzt. Gemmen und Ketten aus Koralle waren sehr verbreitet.
Die Meeresschildkröte Chelone Imbricata liefert das begehrte Schildpatt, das in kochendem Wasser formbar ist. Kleine Sterne, Blüten und Insekten dekorieren die Anhänger, Ohrgehänge und Broschen im Historismus. Die Goldschmiede stachen anfangs manuell, später maschinell kleine Goldpünktchen (piqué) oder -Linien in den Werkstoff. Aus den neuen Kunststoffen formten sie die Imitate von Schildpatt.
Markast (Eisenpyrit) war weit verbreitet. Er wurde geschliffen, facettiert, poliert und als Brillantimitat in die Pretiosen gefasst. Erst am Ende des Jahrhunderts wurde Markasit infolge seiner cognacähnlichen Farben für Ringe, Uhren und Chatelaines als eigenständiger Werkstoff interessant.
Die Entwicklung des Kunststoffs veränderte auch den Schmuck. Den ersten Kunststoff stellte Alexander Parks 1855 vor (Xylonit, Parkesine, durch Pflanzenöle und Kampfer elastisch gemachte Nitrocellulose). Anschließend fand es als Imitat für Holz, Koralle, Horn, Schildpatt und Perlen Anwendung. Vulkanit und Ebonit konnten auf der Gummibasis von Charles Goodyear (1826) entwickelt werden. Die französischen Kunsthandwerker stellten Schmuck aus Aluminium her, nachdem es auf einer Modeausstellung 1867 vorgestellt wurde.
Der junge Sportschmuck äußerte sich Nadeln, Broschen, Gürtelschnallen und Armreifen, die Tennisschläger, Steigbügel und ähnliches nachbilden. Außergewöhnliche Kunststücke stellt der italienische Andenkenschmuck dar. Die beliebtesten Füllmotive waren in Glas- und Marmoreinlagen gearbeitete Tiere und Pflanzen. Die gestanzten Broschen mit kleinen Kugeln und Verzierungen aus kordiertem Draht weisen wie die granulierten Ohrscheiben und Schlangencolliers auf klassische Vorbilder zurück.
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Als Erzeuger von gefärbten Kameen und Achateinsätzen tat sich Idar-Oberstein hervor. Die italienischen Muschelgemmen zeigen in klassizistischer Art Frauenköpfe mit Reben. Kostbare Colliers, Armbänder und lange Ohrgehänge sind auf Vorlagen des 18. Jahrhunderts zurückzuführen. Sie sind mit Brillanten, Saphiren, Smaragden und Rubinen bestückt.
Der weitergeführte Naturalismus bewegte die Goldschmiede nach der romantischen Strömung zur Fertigung von zehn Zentimeter langen Broschen, die Blütenzweige darstellen. Wildrosen, Blüten und Blätter bis zu ganzen Blumensträußen und Blumenkörben schmückten als Broschen die Kleidung der Frauen. Das Elfenbein war daneben eine beliebte Einfassung für Broschen mit durchbrochenem Rand. Es sind vornehmlich Hirsch, Reh, Pferd und Jagdszenen abgebildet. Manchmal befinden sich aus Elfenbein geschnitzte Schäferszenen unter Glasscheiben. Romantisch angehaucht geben sich schlichte silberne Broschen, auf denen der Blütenrand einen Namen, ein Herz oder umschlingende Hände umrahmt. Im klassischen Juwelenschmuck dominierten ein bis mehrreihige Perlencolliers. Zu verweisen ist schließlich auf wertvolle, diamantenbesetzte Tiaras, ... .
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